Der Umbau des Kirchenraumes 2003/ 2004
Beitrag von Bernhard Brüggemann in der Festschrift nach dem Umbau
Ein unaufgeräumter Altarbereich; Altar, Kanzel, Taufe und Lesepult: Alles eng beieinander, geeignet für Gottesdienste ohne Einbeziehung der Gemeinde, geeignet für Gottesdienste mit nur einem Akteur. Das Kastengestühl nimmt viel Platz ein, es reicht bis kurz vor den Altar, der Mittelgang ist schmal. Bei Trauerfeiern ist für den Sarg kein ausreichender Platz vorhanden, die Sargträger gehen vor und hinter dem Sargwagen, anderes lässt der Mittelgang nicht zu. Die Emporen, die Seitenpriechen, beginnen an der Westempore und enden an der Ostwand der Kirche: Sie engen optisch das Kirchenschiff ein, der Raum wirkt schmal und lang, fast bedrückend; auch nehmen die Emporen den Fenstern das Licht. Die dunkle Holzdecke bedrückt, sie ist ungestrichen und wirkt fremd in der Kirche: Alle Holzteile sind deckend gestrichen mit Ausnahme des Kastengestühls und eben der Decke. Der Fußboden ist reparaturbedürftig, ein neuer Anstrich der Wände und Emporen ist dringend erforderlich. Die elektrische Anlage ist seit Jahrzehnten überholt, technisch völlig veraltet auch die Heizung: Störende Knackgeräusche und ungleichmäßige Erwärmung, Verschmutzungen der Wände sind die Folge.
Der Entwurf für eine Neugestaltung der Kirche muß den geänderten Anforderungen an Gottesdiensträume Rechnung tragen. Nicht mehr der Pastor allein gestaltet den Gottesdienst; Abendmahl wird im großen Kreis um den Altar herum gefeiert; Chöre begleiten die Andachten; Konzerte werden in den Kirchen veranstaltet; nicht zuletzt soll ein würdiger Rahmen für Trauerfeiern geschaffen werden, wenn die Kirche auch Aussegnungshalle ist; Krippenspiel und Jugendgottesdienste müssen möglich sein: Der Raum ist für zahlreiche und sehr unterschiedliche Nutzungen herzurichten, die Nutzung muß sehr flexibel gehandhabt werden können. Der Raum darf nicht einengen, darf nicht Angst machen, der Raum muß einladen, er muß sich dem Besucher öffnen, er soll dafür sorgen, dass der Besucher seine Schwellenangst verliert, und neugierig wird, damit er hereinkommt. Kirche darf nicht abweisend sein, Kirche muß den Gläubigen anziehen, den Gläubigen mit offenen Armen empfangen ohne ihn zu erdrücken.
Ein völlig neuer Fußboden aus großformatigen, hellen Sandsteinplatten, im Kirchenschiff orthogonal, im Chorraum aber diagonal verlegt, um den Altarraum von der übrigen Kirche ein wenig abzugrenzen, lässt den Raum großzügig aber auch ruhig erscheinen. Das reduzierte Kastengestühl gibt nun einen breiten Mittelgang her, der ein großzügiges Einziehen in die Kirche ermöglicht. Das Gestühl selber ist nicht mehr so dominant im Raum, es ist ein wohlproportioniertes Möbel, das die Bindung an die Tradition herstellt.
Der Altarbereich, der Chor, ist mit viel Platz ausgestattet: Um zwei Stufen gegen den Kirchenraum erhöht bietet er vielfältige Möglichkeiten für die Gestaltung der Gottesdienste, für Taufen und Hochzeiten, für Trauerfeiern und Konzerte, für kleine, familiäre Feiern ebenso wie für große Veranstaltungen.
Die Kanzel, von ihren Zutaten der letzten Renovierung der Kirche befreit, rückt weiter nach Westen in das Kirchenschiff, näher zur Gemeinde, an den freien Pfeiler der Südseite. Die an der Kanzel nicht mehr benötigten geschnitzten Tafeln haben einen würdigen Platz in der Eingangshalle gefunden. Der Kanzelkorpus aus der Entstehungszeit der Kirche aber ist Vorbild für die Gestaltung des Altares wie auch die des Lesepultes, des Ambos: Die Proportionen und die Profilierungen für Altar und Ambo sind der Kanzel entnommen. Alle drei bekommen eine identische Farbgebung, die den Anstrichen der Emporenbrüstungen und denen der Säulen entspricht, so dass im Chor eine harmonische Einheit dieser drei wichtigen Ausstattungsstücke entsteht.
Hinter dem Altar wird die Kreuzigungsgruppe wieder aufgestellt, etwas weiter nach Osten in die Apsis hinein, so dass um den Altar herum genügend Platz für die Gemeinde verbleibt. Der Farbton des Holzes der Kreuzigungsgruppe wird wesentlich heller sein, so dass sich die Gruppe in die Farbgebung der Apsis gut einfügt. Durch versteckt montierte Leuchten angestrahlt wird die Kreuzigungsgruppe wesentliches Augenmerk des Chores.
Die den Kirchenraum einengenden Seitenpriechen, die beiden ersten Felder auf jeder Seite wurden entfernt, im zweiten Feld sind die Emporen durch schräg zu den Wänden schwingende neue Emporen ersetzt worden. Es ist so ein breiter Raum entstanden, der früher sehr längsorientierte Raum hat nun ein ausgewogenes Verhältnis der Längs- zu der Querrichtung; das Licht der Fenster wird im Altarbereich nicht mehr durch die Emporen gedämpft. Ausgebreiteten Armen gleich umschließen die Schrägemporen zusammen mit den sich anschließenden Profilen auf den Wandvorsprüngen den Chorraum, der Besucher wird eingeladen nach vorne zu treten.
Die aus dem Blau kommende ursprüngliche Graufassung der Anstriche ist einem Grau mit rötlicher Nuance gewichen. Die Wandfarbe, dem Originalton entlehnt, ist ein sehr helles Grau mit rosa Einschlag, die Begleiter der Fenster und Türen sind in kräftigem Dunkelrot gehalten. Alle gestrichenen Holzeinbauten wurden in drei warmen Grautönen abgesetzt, Profilen aber noch die Farben Rot, Grün und Gold hinzugefügt. Die optisch schwere Holzdecke ist durch einen lasierenden Anstrich deutlich aufgehellt worden, sie ist nunmehr den übrigen raumumschließenden Bauteilen angeglichen.
Alle technischen Anlagen sind dem neuesten Stand der Technik angepasst. Das gilt für die Heizungsanlage ebenso wie für die Versorgung mit elektrischer Energie und natürlich auch für die Lautsprecheranlage. Die großflächige Fußbodenheizung unter den Sandsteinplatten wird eine gleichmäßige Grundtemperatur erreichen, während die Radiatoren die zusätzlich benötigten Wärmeleistungen bringen. Die Steuerung der Lichtanlage erfolgt zentral vom Küsterplatz aus.
Keine den Blick von den Emporen störenden Pendelleuchten sind mehr vorhanden. Einzig der alte Kronleuchter hängt im Mittelschiff kurz vor dem Altarraum: Er erstrahlt nach der Restaurierung wieder im alten Glanz. Ihm wurden als bewusste Kontrapunkte moderne Leuchten aus mattiertem Edelstahl und Glas entgegengesetzt, die ausschließlich von den Seitenwänden und den Säulen aus das Kirchenschiff erhellen: Außerhalb der Emporen sind keine den Kirchenraum störenden Pendelleuchten installiert. Die Wandleuchten aber lassen das Licht auf den Wänden sternförmig erstrahlen, wodurch die Besonderheit des Raumes noch einmal unterstrichen wird.
Der Umbau und die grundlegende Renovierung der Jöllenbecker Marienkirche bietet nun die Chance, dass Kirche sich den geänderten Gesellschaftsformen stellt, dass sie sich ihnen öffnet und sie annimmt, dass sie die Jugend in ihren Bann zieht ohne die älteren Mitmenschen zu vergessen, dass sie traditionelle Gottesdienste feiert, aber auch andere Gottesdienstformen zulässt.